FAIL

 

 

Was passiert, wenn Bilder von Macht ins Rutschen geraten? Wenn Uniformen ihren Halt verlieren, Villen brennen, Statussymbole zerschmettern – und dabei etwas sichtbar wird, das sie sonst verdecken sollen: ihre Fragilität. Stumm ́s Arbeiten kreisen um genau diese Momente. In der Ausstellung FAIL zeigt er, wie Inszenierungen von Autorität, Wohlstand und Kontrolle ins Wanken geraten – und mit ihnen unser Verhältnis zu jenen Bildern von Macht, die Stumm Grundlage zu seinen Werkserien sind.

 

Seine Tuschezeichnungen und die Videoarbeit zeigen nicht einfach Katastrophen, sondern erkunden die dünne Oberfläche von Machtbildern und wie schnell sie reißen kann. Es geht um Bilder der Kontrolle – und ihr Scheitern.

 

Endless Summer widmet sich den Bränden von Luxusvillen mit Pool, von denen es so viele in den Hollywood Hills in Los Angeles gibt. Die Medien zeigten im Januar 2025, als das Feuer in den Hills ausbrach, die Löschaktionen, die Evakuierungen oder das Danach – die ausgebrannten Häuser, verkohlte Landschaften, menschenleere Trümmer. Gleichzeitig kursieren in sozialen Medien massenhaft KI-generierte Bilder, die besonders eindrücklich wirken sollen: Palmen im Feuersturm, einstürzende Glaspaläste, das ikonische Hollywood-Zeichen in Flammen – Bilder, die so nicht fotografiert wurden oder gar stattgefunden haben und trotzdem das visuelle Bedürfnis nach Dramatik bedienen. Moritz Stumm greift dieses Verlangen nach Konsum von Katastrophenbildern auf. Er generiert eigene KI-Bilder von brennenden Villen – auf dem Höhepunkt des Ereignisses – und überführt sie in das Medium der Tuschezeichnung. So entstehen Szenen von surrealer Klarheit und gleichzeitiger Unschärfe: Glitzernde Pools stehen ungerührt vor brennenden Fassaden, Palmen werfen lange Schatten, während im Hintergrund die Welt zerfällt. Dass die Szenen einer KI entspringen, verraten beispielsweise in einer der Arbeiten der unlogische Einstieg in den Pool.

 

„Natürlich ist es ziemlich niederschmetternd. Es ist emotional“, sagte Mel Gibson zu NewsNation. „Man lebt dort lange und hat all seine Sachen … Fotos, Akten, persönliche Dinge, Kleidung. Ziemlich coole Sachen – aber wissen Sie, das kann alles ersetzt werden. Das sind nur Dinge. Die gute Nachricht ist, dass es meiner Familie und meinen Lieben gut geht […] Das ist alles, was mich wirklich interessiert.“ Das Zitat – überschrieben mit Namen und Hauswert: Mel Gibson, 14,5 Millionen Dollar – reiht sich ein in ähnliche Statements Prominenter: Paris Hilton, 8,4 Millionen Dollar, Anthony Hopkins, 6 Millionen Dollar, der bereits 2018 vor einem Feuer aus Malibu floh. Der mediale Fokus liegt auf Promi-Schicksalen, auch auf Solidarität und Zusammenhalt. Dabei gerät in den Hintergrund, dass die Brände durch extreme Trockenheit in Verbindung mit den in den Monaten Dezember und Januar typischen Santa-Ana-Winden ausgelöst wurden – eine gefährliche Kombination, die durch den Klimawandel zunehmend wahrscheinlicher wird. Diese Trockenheit wird durch den luxuriösen Lebensstil, insbesondere den Gebrauch privater Pools, mitgetragen und verschärft zusätzlich die Wasserknappheit. Kalifornien hatte bereits Wasserrestriktionen verhängt. Laut Los Angeles Times überschritt Kim Kardashian 2022 in Hidden Hills ihr Wasserlimit um rund 878.000 Liter, Sylvester Stallone sogar um 533 Prozent. Die fälligen Geldstrafen werden hingenommen. So wird privater Luxus zum Schauplatz globaler Krise – und bleibt dabei weiterhin erstaunlich unberührt. Während in Los Angeles Brände wüten, befeuert durch Luxus, Klimawandel und Ignoranz, wurde in Lützerath bis 2023 gegen genau jene Ursachen protestiert – gegen eine Politik und Lebensweise, die Natur verheizt und Menschen umsiedelt.

 

In Dirty Work stolpern Polizisten im Schlamm – eine Referenz an die Räumung von Lützerath. Der sogenannte „Mönch von Lützerath“, ein Aktivist, hatte die Szene ausgelöst. Doch Stumm zeigt nicht den Akt des Widerstands, sondern das Wanken der Staatsgewalt: Die Uniform, sonst Sinnbild von Ordnung und Autorität, wird schwer, rutscht, fällt. Die Uniformierten, sie geraten aus dem Gleichgewicht – das Bild der Ordnung wird selbst unordentlich. Und verliert damit ihre Selbstverständlichkeit. Diese Momente sind nicht bloß komisch – sie sind entlarvend. Sie zeigen die menschliche Performativität von Macht. Wie sehr sie auf Geste beruht, auf Wiedererkennbarkeit, auf Reibungslosigkeit. Wenn die inszenierte Haltung bricht, zerfällt das Bild. Und mit ihm das Vertrauen in das, was es repräsentieren soll.

 

Die Uniform ist genauso ein Status Symbol, wie eine Luxuskarre. Sie stehen für etwas, was Macht, Reichtum oder Überlegenheit ausstrahlen, symbolisieren. Durch ihre Verletzung wird automatisch die Macht hinterfragt, die Verletzlichkeit offengelegt. In der Serie Soft Shell sieht man verunfallte Sportwagen – deformierte Prestigeobjekte, Symbol von Geschwindigkeit und Status, plötzlich entleert und still.

 

Auch die Videoarbeit Schuss-Gegenschuss verfolgt diese Idee weiter: Sie montiert Motive digitaler „Gun-Selfies“ – eine Pose, in der sich Macht nur noch als leere Geste behauptet. Der Waffengriff als Selbstdarstellung, nicht als Handlung. Kontrolle, Autorität als Pose.

 

FAIL ist keine Ausstellung über Missgeschicke oder Unglücke. Es ist eine präzise Reflexion über das, was sichtbar wird, wenn Macht ins Stolpern gerät. Wenn Pathos zu Pose wird, wenn Kontrolle wie Schauspiel wirkt und Inszenierung zur Farce wird. Die Tusche als Medium unterstreicht dabei die Unschärfe und Fragilität der Situationen – mit verwaschenen Konturen, gezielten Auslassungen, brüchiger Linienführung.

 

Und warum schauen wir dabei fasziniert zu? Voyeurismus? Schadenfreude? Entsetzen? Vielleicht. Aber vor allem ein Innehalten: gegenüber der Frage, wie sehr sich unsere Vorstellung von Ordnung, Reichtum und Überlegenheit an Bildern festmacht – und wie instabil doch diese Bilder eigentlich sind.

 

text: VERENA OSTHOFF