4-Kanal-Video, 49:24 min, 16:9 & 9:16, color, 5.1sound, 2024
1-Kanal-Video, 33 min., color, 5.1sound, 2024
Foto-Serie
Unsere Existenz ist von Gewalt durchtränkt. Blickt man auf ihre mannigfaltigen Formen und Wege, wird schwer fassbar, welcher Bereich des Lebendigen nicht von ihr durchzogen ist. Gewalt ist selbst in ihren radikalsten Formen produktiv. Als Medium der Einschüchterung, Verletzung, Zerstörung und Vernichtung strukturiert sie Verhältnisse – neben Unterdrückung, Schmerz und Trauma, produziert sie Gegengewalt und Widerstand. Als Zeuge und doch gleichsam Beteiligter begegnet man folglich Phänomenen der Gewalt im Ausstellungsraum. Überwältigend nah, doch künstlerisch inszeniert, soll sie hier als reine Erfahrung stehen. Der Werkzyklus KONTROLLE von Neuberger & Stumm exploriert ausgewählte Mechanismen der Disziplinierung, die dafür notwendig ist, Gewalt als solche regelkonform herzustellen. In der Betrachtung von Verfahren der Abrichtung von Gebrauchstieren für den Polizeieinsatz wird Gewalt zu einer plastischen Masse – formbar, vorhersehbar und rechtsförmig. Dabei sondiert KONTROLLE sowohl den massiven Eingriff in den Sinneshaushalt der Tiere als auch die stark kulturell geprägten Simulation potentiell feindlicher Umgebungen. KONTROLLE zeigt Assemblagen der Dressur humanimaler Subjekte. In der Choreografie eines Befehls entspinnt sich ein Verhältnis zwischen Sender und Empfänger in gegenseitiger Abhängigkeit. Die Zurichtung der Wahrnehmung der Tiere geht mit einer immer gleich ablaufenden Befehlskette einher. So treffen beide Enden der Dressur besonders im Sound der Videoarbeiten aufeinander. Sowohl das Geschirr der Pferde, als auch das Eisen des Hammers, welcher zum Beschlagen ihrer Hufe verwandt wird, geben den klickenden Rhythmus der Toncollage vor. In der Wiederholung, im Gleichmaß, in der Eindeutigkeit liegt der Erfolg des Befehls. Imposant baut sich ein akustische Environment auf, während Detailaufnahmen die emotionale Fragilität, die Anspannung der Tiere offenbart. Zartheit, Zucken, Nerven. Bald auch auf der Tonspur wahrnehmbar. Atmen, tiefes Einatmen, schnelles Ausschnauben, teils im kondensierenden Nebel sichtbar. Während also das abgerichtete Tier sich in der gleichmütigen Begegnung einer unwirtlichen Umwelt übt, tritt diese im weiteren Verlauf der Arbeiten in der Vordergrund. Als abstrakte Chiffren komplexer Situationen des Konflikts treten sie als sprechende wie handelnde Objekte auf. Ein grüner Medizinball simuliert Stöße, eine blaue Fahne Protest. In der Gewöhnung sollen sie dem stoisch verharrenden Tier bald nichts mehr bedeuten. Zu uns jedoch sprechen sie als verdinglichte Boten gesellschaftlicher Konflikte. Dass die Medien der Dressur dabei genauso viel von den körperlichen Fähigkeiten der Tiere als auch von den Eigenheiten ihrer Besitzer erzählen, wird schließlich in den Innenräumen einer Polizeihundeanlage offenbar. Was anderen als ein simpler Schauplatz von alltäglicher Tristesse erscheinen mag, ist den Tieren ein Parcours mit bedeutsamen Gerüchen. Die aus der Zeit gefallende Einrichtung einer nachgebildeten Wohnung legt dabei die Spur in das Privatleben der Polizisten. Im Versuch einer möglichst realitätsnahen Imitation haben sie deren Möbel aus ihrem eigenen Besitz beigesteuert. In der Simulation eines potentiell gewaltsamen Gegenübers begegnen sie ihrer eigenen Identität.
Text: Sophia Gräfe